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 Gesundheit & Politik
Tacheles-Redaktion Offline

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Beiträge: 77

22.01.2006 21:02
Der Fall ratiopharm: Antworten
Bericht: Kim Otto, Georg Restle


Sonia Mikich: "Nicht ärgern, nicht wegsehen, sondern verstehen. Willkommen bei MONITOR. Vor einige Wochen gab es eine Seltenheit, ein Konzernchef entschuldigte sich öffentlich. Philipp Daniel Merckle von ratiopharm sagte, "wir befinden uns in der unguten Situation einer Schande." Merkwürdig, was war dem voraus gegangen? Der Stern-Redakteur Markus Grill hatte belegt, dass Ärzte von ratiopharm Geld für die Verordnung von Medikamenten erhalten hatten; Bestechung nennt man das. Das Unternehmen ratiopharm wiegelte allerdings ab: Ja, moralisch verwerflich, aber Einzelfälle, vergangen und vorbei.
Kim Otto und Georg Restle haben jetzt Hunderte von E-Mails, Honorarabrechnungen und geheime Protokolle ausgewertet und neue Belege gefunden, die das schwäbische Pharmaunternehmen schwer belasten. Die ungute Situation einer Schande hatte offenbar System."


Der Spot mit den Zwillingen gilt als clevere Werbe-Idee, so kennt fast jeder ratiopharm:

Werbespot Rathiopharm:
"Da gibt's doch auch was von ratiopharm!", "Ratiopharm - gute Preise!", "Gute Besserung!", "Danke!"

Auch Dirk Wetzel kennt ratiopharm und auch der Allgemeinmediziner hat Bekanntschaft mit den Werbemethoden des Pharmaunternehmens gemacht. Kurz nachdem er seine Praxis in der Nähe von Kassel übernommen hatte.

Dr. Dirk Wetzel, Arzt für Allgemeinmedizin: "Wir hatten im Frühjahr 2005 hier in der Praxis Besuch von einer ratiopharm-Referentin, die uns eigentlich relativ unverblümt 1 Prozent Umsatzbeteiligung an den ratiopharm-Produkten angeboten hatte, und wir haben das eigentlich sofort auch als einen Bestechungsversuch empfunden und fanden das Angebot ausgesprochen dubios."

Bestechung? Wir treffen uns mit einem der Pharmareferenten von ratiopharm. Auch er hat Ärzten Umsatzprovisionen versprochen und will deshalb nicht erkannt werden.

Reporter: "Waren das eigentlich Einzelfälle, dass Ärzte am Umsatz beteiligt worden sind oder hatte das System in der Firma?"

Pharmareferent (Stimme nachgesprochen): "Nein, das ist kein Einzelfall. 1 Prozent Umsatzbeteiligung ist sogar sehr wenig. Ratiopharm hat mit vielen Ärzten Vereinbarungen, die bekommen fünf Prozent auf den Herstellerabgabepreis. Ich selbst hatte fünf Ärzte, die Umsatzbeteiligungen haben. Ratiopharm hat rund 300 Referenten, welche die Ärzte betreuen, also schätze ich, dass in Deutschland über 1000 Ärzte eine Umsatzbeteiligung bekommen."

MONITOR liegt der E-Mail-Verkehr von ratiopharm-Vertretern an ihre Vorgesetzten vor. Seltene Einblicke in die Geschäftstüchtigkeit von Ärzten:

"Herr Dr. K. hat mir vor ca. 2,5 - 3 Jahren angeboten, seine Verordnungen wo möglich komplett auf ratiopharm umzustellen, wenn ich (bzw. ratiopharm) im Gegenzug bereit wäre, ihn finanziell zu unterstützen. Ich habe ihm daraufhin eine 2,5%ige Umsatzbeteiligung ... angeboten."
In einer weiteren Mail heißt es:
"Herr Dr. W. legt keinen Wert auf den Besuch von Firmen, die ihn nicht für seine 'Verordnungen bezahlen'. Er wünscht quartalsweise Zahlungen ..."
Dirk Wetzel erklärt uns, wie das System funktioniert, dass er selbst nicht verwendet. Auf Basis eines Computerprogramms, das ratiopharm den Ärzten kostenlos zur Verfügung stellt.
Dr. Dirk Wetzel, Arzt für Allgemeinmedizin: "Wenn ich hier also jetzt ein bestimmtes Präparat auswählen möchte, beispielsweise Diclofenac, dann erhalte ich zunächst die ganze Latte von ratiopharm-Produkten, bevor überhaupt irgend eine andere Firma auf dem Bildschirm auftaucht und habe dann möglicherweise günstigere Präparate übersehen. Und wenn ich jetzt ein Präparat von ratiopharm auswähle, ist das Programm so voreingestellt, dass das Kreuz bereits bei "nec aut idem" gesetzt wird, so dass der Apotheker dann dieses ratiopharm-Präparat auch nicht mehr durch ein anderes, möglicherweise günstigeres, ersetzen dürfte."

Wir treffen uns mit einem Arzt, der sich an den Deals mit ratiopharm beteiligt hat; ohne Kamera, nur mit Tonband, weil auch er nicht erkannt werden will. Er erzählt uns, wie die Deals abgerechnet wurden:

Arzt (Szene nachgestellt): "Einmal im Quartal kommt die Firma Ratio, lässt sich ausdrucken, was ich verordnet habe, und dann nimmt die Vertreterin das mit, addiert das und entsprechend kriege ich dann nach Ablauf von einem dreiviertel Jahr einen Scheck."

Verrechnungsschecks vom Pharmareferenten. Haben die Zahlungen tatsächlich dazu geführt, dass Ärzte mehr ratiopharm-Präparate verschreiben? Was sagen die Krankenkassen?

Ingo Kailuweit, Vorstandsvorsitzender KKH: "Wir haben von MONITOR erfreulicherweise Unterlagen erhalten, und wir haben diese Daten, im Wesentlichen handelt es sich um die Angaben von Ärzten, mit unserer Datenbank abgeglichen. Dabei haben wir festgestellt, dass diese Ärzte ein dreifach höheres Verordnungsverhalten zu ratiopharm haben als der Durchschnitt. Und aufgrund dieser Tatsache ist auch davon auszugehen, dass ein Schaden der gesetzlichen Krankenversicherung entstanden ist."

Ein Schaden trotz Billigpreisen? Dirk Wetzel weiß, dass die Präparate von ratiopharm oft deutlich teurer sind als Vergleichspräparate von der Konkurrenz. Von wegen: gute Preise.

Dirk Wetzel, Arzt für Allgemeinmedizin: "Es ist eben immer das Problem, dass alles, was da läuft letztlich über die verschriebenen Arzneimittel wieder reingeholt wird. Das heißt, im Endeffekt zahlt die Krankenkasse und der Kassenpatient dafür mit seinen Beiträgen."

Das Unternehmen ratiopharm gestand Fehler zu, als erste Hinweise auf den Skandal Ende letztes Jahr im "Stern" veröffentlicht wurden. Sogar von "Schande" war bei dem Ulmer Arzneimittelhersteller die Rede. Die Leitung des Familienunternehmens rund um den Firmenchef Philipp Daniel Merkle spricht aber bis heute nur von Einzelfällen aus der Vergangenheit, die bereits abgestellt wurden. Einzelfälle? MONITOR liegen Hunderte dieser Honoraranforderungen für angebliche Patientenseminare vor, nach denen viele Ärzte ihre Umsatzprovisionen abgerechnet haben. In den Begründungen steht, wofür das Geld wirklich geflossen ist: Für "Umstellung auf ratiopharm" oder - die "Praxis stellt Patienten vermehrt auf ratiopharm um". Anderswo ist von einer Zusage für die "ganze Produktpalette ratiopharm" die Rede. Einzelfälle oder Geschäftspolitik? Noch im Mai 2005 wurden die Umsatzprovisionen für Ärzte als "neue Kultur für die Umsatzausweitung" empfohlen. In einer firmeninternen E-Mail, die auch an die Vertriebschefin des Unternehmens geschickt wurde.

Bestechung in der Arztpraxis als Teil der Unternehmenskultur? Und wurden die Zahlungen im Herbst 2005 tatsächlich eingestellt?

Szene nachgestellt - Interview vom 30.12.2005

Reporter: "Ist es heutzutage immer noch Praxis?

Arzt: "Ja, es handelt sich um ein eingespieltes Team."

Reporter: "Im Dezember auch noch?"

Arzt: "Ja, im Dezember auch."

Ratiopharm will sich gegenüber MONITOR zu diesen neuen Vorwürfen nicht äußern. Schließlich habe das Unternehmen nicht gegen Strafvorschriften verstoßen, alles sei ganz legal. Eine Rechtsauffassung, der sich auch die Staatsanwaltschaft am Firmensitz in Ulm anschloss. Nachdem ratiopharm gegen die Ermittlungen protestiert hatte, wurde das Verfahren Ende letzten Jahres eingestellt, ohne dass auch nur ein einziger Zeuge vernommen wurde.

Wolfgang Zieher, Oberstaatsanwalt Ulm: "Wir haben eben diese Dinge strafrechtlich ausgewertet, wir haben die sozialversicherungsrechtliche Komponente mitbeleuchtet und haben dann gesehen, dass es sich im Grunde um legale, nicht als solche strafbare Taten handelt."

Reporter: "Keine Untreue zu Lasten der Krankenkassen begangen von den Ärzten?"

Wolfgang Zieher, Oberstaatsanwalt Ulm: "Zum Beispiel keine Untreue, zum Beispiel kein Betrug."

Karl-Rudolf Winkler, stellv. Generalstaatsanwalt Koblenz: "Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Ulm steht im Widerspruch zu der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Der Bundesgerichtshof hat seit November 2003 in ständiger Rechtsprechung immer die Auffassung vertreten, dass die Ärzte die Vermögensbetreuungspflicht gegenüber den Krankenkassen haben. Ihre Verletzung ist deshalb strafbar."

Also doch! Wenn die Ulmer Staatsanwaltschaft nur gewollt hätte. Sagt der stellvertretende Generalstaatsanwalt von Koblenz, dem wir einen Teil unserer Unterlagen vorgelegt haben. Für ihn steht außer Frage, dass sich sowohl die Ärzte als auch das Unternehmen ratiopharm strafbar gemacht haben.

Karl-Rudolf Winkler, stellv. Generalstaatsanwalt Koblenz: "Nach meinem Kenntnisstand müsste die Staatsanwaltschaft Ulm ihre Entscheidung überprüfen und zu dem Ergebnis gelangen, dass Ermittlungen angezeigt sind."

Gute Preise, guter Nebenverdienst. Den Preis für die Deals mit den Billigmedikamenten - soviel steht fest - zahlen am Ende die Versicherten.


Sonia Mikich: "Ministerin Ulla Schmidt fordert aufgrund der neuen Recherchen jetzt Konsequenzen. Die Bundesärztekammer soll gegen Mediziner vorgehen, die Geld von ratiopharm erhalten haben. Wenn das mal reicht."
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