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 Gesundheit & Politik
Tacheles-Redaktion Offline

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Beiträge: 77

08.12.2005 23:03
Die Millionenpanne der Ministerin Antworten
Gesundheitsreform: Die Millionenpanne der Ministerin

Bericht: Kim Otto, Markus Zeidler

Sonia Mikich: "Das Grauen geht weiter: Die Gesundheitsreform. Es gibt hier die Sage von der neunköpfigen Hydra. Ein mörderisches Ungeheuer, dem der Held Herkules nicht beikommen konnte. Denn: wann immer er einen Kopf abschlug, wuchs an anderer Stelle ein neuer Kopf nach.
Und so ungefähr ist es eben mit der Gesundheitsreform. Da sind die mächtigen Pharma-Hersteller. Die Lobbys der Ärzte, die der Apotheker, die Kassen, die Politiker - und kein Herkules nirgendwo. Beispiel Medikamentenkosten: Sie explodieren, obwohl immer weniger Rezepte verschrieben werden. Mit ein Grund: Ein fataler Rechenfehler des Gesetzgebers.

Über eine Millionenpanne der alten und neuen Gesundheitsministerin berichten Kim Otto und Markus Zeidler."


Schon von Berufs wegen geht Jens-Martin Träder den Dingen gerne auf den Grund. Doch seit einiger Zeit beobachtet er Veränderungen, die er sich zunächst so gar nicht erklären konnte. Seit der Gesundheitsreform im Jahr 2004 explodieren in seiner Hausarztpraxis die Kosten für Medikamente. Und dass, obwohl er deutlich weniger Pillen verschreibt, als vor der Reform. Träder begann nachzuforschen und stieß auf einige Merkwürdigkeiten der Gesundheitsreform. Etwa auf das Prinzip: Ein Medikament zwei Preise.

Dr. Jens-Martin Träder, Hausarzt: "Also das funktioniert so: es gibt ein Medikament, das kann der Patient frei kaufen in der Apotheke. Dafür bezahlt er für das Ibuprofen zum Beispiel 4,40 €. Wenn ich das gleiche Präparat auf Rezept, auf Kassenrezept aufschreibe, zahlt er für das gleiche Medikament, gleicher Inhaltsstoff, gleiche Packungsgröße - zahlt er 14,50 €. Das ist überhaupt nicht zu verstehen."

Eine künstliche Verteuerung vieler Medikamente. Beispiel ACC Hustenlöser. Als "ACC Akut" ist das Medikament rezeptfrei, kostet 4,85 €. Die Packung rechts hingegen ist rezeptpflichtig und kostet 12,08 €. Preisunterschied: 7,23 €. Dabei ist in beiden Packungen exakt die gleiche Tablette.

Beispiel Loperamid, ein Mittel gegen Durchfall. Links die rezeptfreie Packung für 3,49 €, rechts die rezeptpflichtige für 11,30 €. Preis-Differenz: 7,81 €. Einziger Unterschied: Die Farbe der Packung.

Doch warum die Verteuerung vieler eigentlich preiswerter Medikamente? Früher wurden die Apotheker mit Prozenten am Medikamenten-Verkauf beteiligt. Deshalb verkauften sie gerne die teureren Medikamente. Die Gesundheitsreform schaffte das ab. Um Kosten zu sparen. Seitdem bekommen die Apotheker pauschal 8,10 € für jedes rezeptpflichtige Medikament, egal wie teuer es ist.

Doch bei Hausarzt Jens-Martin Träder und anderen Ärzten sind seit der Reform die Medikamentenkosten gestiegen. Um 30 Prozent bei ihm. Obwohl er deutlich weniger Rezepte verordnet hat.

Dr. Jens-Martin Träder, Hausarzt: "Das, was mich dann ganz besonders stutzig gemacht hat, ist, dass wirklich schlagartig von 17, vielleicht 17,50 € Durchschnittspreis pro Verordnung der Preis gestiegen ist auf über 25,00 € obwohl die Abgabepreise von den Arzneimittelherstellern nicht höher geworden sind."

Gleiche Hersteller-Preise? Weniger Rezepte? Trotzdem mehr Kosten? Für den Arzt steht inzwischen fest, wer davon profitiert: Die Apotheker. Das Jahr 2005 brachte ihnen gegenüber 2002 pro rezeptpflichtigem Medikament tatsächlich ein sattes Einnahme-Plus. Das geht aus einem internen Vermerk der AOK hervor, der Monitor vorliegt. Um durchschnittlich 11 Prozent pro Packung stieg danach die Marge der Apotheker bei den rezeptpflichtigen Medikamenten.

Gisbert W. Selke, Wissenschaftliches Institut der AOK: "Tatsächlich stellen wir fest, dass die Apotheker in diesem Jahr netto mehr Geld in der Kasse behalten, während sie gleichzeitig weniger Leistung erbringen, indem sie nämlich weniger rezeptpflichtige Verordnungen abgeben. Beides zusammen führt dann dazu, dass die Kassen in diesem Jahr ca. 415 Millionen Euro mehr ausgeben."

415 Millionen Euro als Geschenk für die Apotheker? Dabei hatte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt doch von allen Opfer gefordert.

Ulla Schmidt: "Wenn ich jeder sage, meine ich auch jeden. Jeder muss einen Solidarbeitrag leisten. Wir werden auch von allen Apothekern, Apothekerinnen und der Pharmaindustrie etwas einfordern, das sind schwierige Zeiten, die müssen alle an einem Strang ziehen."

Für die Apotheker gilt das so offensichtlich nicht. Sie verdienen an den rezeptpflichtigen Medikamenten mehr als geplant. In diesem Jahr ein Plus von 17.000 Euro macht das durchschnittlich für jede Apotheke, so die AOK-Zahlen. Der Grund: Die Höhe des neuen Pauschal-Betrages von 8,10 € pro rezeptpflichtiger Packung.

Prof. Peter Schönhöfer, Pharmakologe: "Der Pauschalbetrag von 8,10 € war zu hoch angesetzt von Anfang an. Ein Rechenfehler des Ministeriums. Dadurch erhalten die Apotheker 100 Millionen von Euro zu viel. Dieses ist ein Zeichen der schlampigen Arbeit des Ministeriums."

Schlampige Arbeit? Ein Rechenfehler? Die neue und alte Gesundheitsministerin schweigt dazu. Kein Interview für Monitor.

Dafür äußert er sich: Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte und enger Vertrauter von Ministerin Ulla Schmidt. Lauterbach war an der Reform maßgeblich beteiligt.

Prof. Karl W. Lauterbach, SPD-Bundestagsfraktion: "Da haben sich alle Beteiligten verrechnet. Also die Krankenkassen, die Apotheker, selbst auch die Wissenschaftler und dieser Rechenfehler ist aber nie richtig korrigiert worden."

Das Gesundheitsministerium reagiert schließlich doch. Telefonisch teilt man uns mit: Ja, die Zahlen der AOK stimmen - aber: Die AOK ziehe die falschen Schlüsse daraus. Die Apothekerhonorare lägen im Plan. Im Übrigen seien die 8,10 € auch auf Betreiben der Kassen im Gesetz verankert worden.

Prof. Peter Schönhöfer, Pharmakologe: "Die Ministerin bleibt trotzdem verantwortlich. Sie muss dafür sorgen, dass die Gesetzesvorlagen korrekt durchgeführt werden, denn wenn das Gesetz Fehler hat, dann zahlt letztlich der Versicherte den Schaden.

Dr. Jens-Martin Träder, Hausarzt: "So ein bisschen scheint es zur Zeit Mode zu werden, man macht erst mal was, damit man was macht, ohne sich zu überlegen, was dann hinterher dabei rauskommt. Und hinterher wird so lange nichts geändert, so lange keiner laut schreit."

415 Millionen Euro überflüssige Kosten für rezeptpflichtige Medikamente aufgrund eines Rechenfehlers bei der Gesundheitsreform. Die Patienten warten weiter - auf die versprochene starke Beitragssenkung.


Sonia Mikich: "Das Bundesgesundheitsministerium hat am Abend eine Pressemitteilung herausgegeben. MONITOR würde irreführende Zahlen der Krankenkassen verbreiten. Schließlich hätten die Kassen durch die Arzneimittel-Preisverordnung rund 500 Millionen Euro gespart. Stimmt sogar, lenkt aber ab! Denn es sagt nichts darüber, dass man weitere 415 Millionen hätte sparen können."
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